Texte

Artist Statement

In meinen Bildern ist der Wald der Grund, in den ich meine Figuren stelle.

Der Wald als Natur- und Lebensraum, Identitätssymbol, Kulisse zahlreicher Märchen und Sagen, Rückzugsort, ein Ort voller Geheimnisse und ohne Überblick, zweideutig. Die Faszination für Fell, ungezähmte Natur und figurative Ölmalerei haben mich zur realistischen Darstellung von Wildtieren geführt. Die Tiere weisen aber auch auf eine spirituelle Ebene hin, sind seit alters her überall auf der Welt mit vielerlei Bedeutung aufgeladen. Das Eichhörnchen Ratatösk aus der Edda, das fortwährend zwischen den gegensätzlichen Kräften des Adlers in den Wipfeln des Weltenbaumes und dem Drachen an seinen Wurzeln hin und her springt, wurde zu meinem Alter Ego.

Grundlage meiner Arbeit sind eigene Fotografien von Waldgebieten, die ich beim Wandern erkunde, und gefundene Bilder. Während des Malprozesses erschaffe ich meine eigene Landschaft, indem ich die Figuren benutze, um die Illusion eines dreidimensionalen Raumes zu unterstreichen. Die märchenhafte Atmosphäre in meinen Bildern erlaubt es mir, unaussprechliche Wahrheiten anzudeuten und besondere Stimmungen und Verwicklungen auszudrücken, wobei ich versuche, die Situation unserer Zeit zu erfassen. 

 

Künstlergespräch mit der Kunsthistorikerin Esther Erfert-Piel zur Eröffnung der Ausstellung Ratatösk

am 11.11.2021 im Ausstellungsraum EULENGASSE, Frankfurt am Main

 

Daniel Scheffel zur Bilderserie "Ratatösk"

Menschen machen Erfahrungen mit dem Leben. Menschen machen Erfahrungen mit dem Tod. Das eine ist vermeintlich greifbar und konkret, das andere liegt kaum in unserer Hand, entzieht sich, ist mit Tabus belegt. Eine erweiterte Vorstellung von Welt und Existenz lässt sich mit dem Leben, wie wir es kennen, oft schwerlich verbinden.

Andrea Interschick schlägt solch eine Brücke. In ihrer Malerei beschäftigt sich die Absolventin der Akademie für Malerei Berlin mit Existenz, Zwischenwelten und Wirklichkeitsformen, die mehr beinhalten als das uns Bekannte, die letztlich jedoch da sein müssen. Ansonsten ließe sich manches kaum erklären. Zentral in Andrea Interschicks Auseinandersetzung mit Realitäten sind nicht die Menschen. Stattdessen holt die Künstlerin den Kosmos der Tiere als Symbolträger in ihre Malerei: Tiere als dem Menschen vertraute und liebgewonnene Geschöpfe, dennoch in ihren Wesen niemals ganz durchschaubar, niemals endgültig verständlich. Auf diese Weise werden Tiere zu Mittlern bzw. Wandlern zwischen den Welten.

Die in Öl auf Leinen gemalten Motive können verstanden werden als Ahnungen, als kurze ausschnitthafte Einblicke, zufällige und damit höchst seltene Momentaufnahmen von manchen uns weitestgehend unbekannten Seinsbereichen – handgemalt, weil Technologie sie vermutlich gar nicht abbilden könnte.

Jene Phänomene sind subtil, drängen sich nicht auf. Sie zeigen sich erst auf den zweiten Blick, finden hinter dem Unmittelbaren statt: auf der versteckten kleinen Lichtung tief im Wald etwa, wo sich des Nachts einige Füchse versammelt haben; oder im Dickicht, wo in fahlem Mondschein fünf Hasen zusammenkommen. Beinahe wirkt es so, als hielten die Hasen während eines geheimen Rituals inne, da sie Beobachter vermuten; die Füchse dagegen scheinen noch niemanden bemerkt zu haben – doch etwas irritiert: Sind die einen tatsächlich Füchse? Handelt es sich bei den anderen wirklich um Hasen?

So wie Schamanen die Grenzen zwischen Tierreich und Menschenwelt durchlässig machen, Verbindungen zwischen irdischer Welt und Ahnenwelt herstellen, so wandeln auch Andrea Interschicks Wesen zwischen den Realitäten und Seinsformen. Dabei sind die Motive in keinster Weise phantastisch-willkürlicher Natur. Die Künstlerin leitet sie bewusst ab von konkreten Sachverhalten und Relikten: Knochen als klassisches Vanitas-Symbol beispielsweise dienen im Atelier als Inspiration zur Darstellungen von Lebendigem. So bietet ein Knochen die Umrissvorlage für den Kopf eines hirschartigen Waldbewohners, eine andere Knochenform lässt wie eine anatomisch-natürliche Besonderheit einen vermeintlichen Hasen auf feinsinnige Art wesensfremd erscheinen. Das selbe Knochenstück ist andernorts die Formvorlage für ein rituell anmutendes Objekt – Knochen als ein Sinnbild von Vergangenem werden zu Lebensspendern, zu Erzeugern erweiterter Existenz. Eine andere Art des Brückenschlages zwischen den Welten stellt die Künstlerin her, indem sie den Gesichtern mancher Tierwesen äußerst menschliche Züge verleiht. Doch nicht nur motivisch, sondern auch handwerklich-formal ist Andrea Interschicks Werk thematisch-konsequent: Als Untermalung nutzt sie bewusst ein tief dunkles Rot, ein Blutrot als Sinnbild des Lebenssaftes. Er verleiht den darauf gemalten Wesen und Welten die Energie, um wie aus sich selbst heraus sanft zu leuchten, taucht sie in eine erhabene geheimnisvolle Lebendigkeit.

Tierisches und Menschliches, Knochen und Blut, Tod und Leben: Was ist das Dasein? Was verbindet Phänomene? Konkrete Bezüge und Bedeutungen ihrer Arbeiten belässt die Künstlerin im Dämmerlicht. Aber die Zugangspforte bleibt einen Spaltbreit geöffnet: Je mehr wir 'das Andere' für möglich halten, desto mehr erhellen sich die Dinge.

Text: D. S. 

Presse

 

feuilletonfrankfurt, 15.11.2021, Autorin Petra Kammann

feuilletonfrankfurt, 08.12.2017, Autor Erhard Metz